Die heiligen drei Könige
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„Damit ein Anfang wäre, wurde der Mensch geschaffen, vor welchem es keinen Anfang gab.“ (Augustinus, De Civitate Dei, XII, 21)
Gott schafft den Menschen, damit etwas anfangen kann. Ohne den Menschen, heißt das, fängt eigentlich nichts an. Weil es der Mensch ist, der etwas anfängt, einen Anfang setzt, indem er handelt, indem er etwas will und tut.
„Das Wunder, das den Lauf der Welt und den Gang menschlicher Dinge immer wieder unterbricht und von dem Verderben rettet, das als Keim in ihm sitzt und als ›Gesetz‹ seine Bewegung bestimmt, ist schließlich die Tatsache der Natalität, das Geborensein, welches die ontologische Voraussetzung dafür ist, dass es so etwas wie Handeln überhaupt geben kann. […] Das ›Wunder‹ besteht darin, dass überhaupt Menschen geboren werden, und mit ihnen der Neuanfang, den sie handelnd verwirklichen können kraft ihres Geborenseins. […] Daß man in der Welt Vertrauen haben und daß man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt worden als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien [nach Jes 9] „die frohe Botschaft“ verkünden: „Uns ist ein Kind geboren.“ (Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1981. S. 243)
Und Max Goldt hat das kongenial auf seine Weise bemerkt: „Neue Leute haben die damals nur kennengelernt, wenn sie welche gebaren.“ (in: Max Goldt, Die Kugeln in unseren Köpfen, 2001, S. 163)
Noch – in der Zeit nach der Geburt, also für uns nach Weihnachten – ist Jesus ein Kleinkind, noch ist er passiv, noch handelt er nicht. Noch beginnt er nichts Neues. Aber mit ihm beginnt etwas Neues. Es wirkt schon – wie wir sehen an den sog. Heiligen Drei Königen.
2
Hier eine Darstellung aus dem Burgund: aus einem Säulenkapitell in Autun, ursprünglich in der Kirche, jetzt im Anbau in einem kleinen Museum.
Die drei stecken unter einer Decke. Allerdings eben nicht mit dem König Herodes, der einen Rivalen wittert, den er ausschalten möchte.
Der Ausdruck „unter einer Decke stecken“ kommt wohl daher, dass im Mittelalter eine Ehe erst dann rechtmäßig vollzogen wurde, wenn sich die frisch Vermählten im Ehebett eine Decke teilten.
Nach einer anderen Herleitung kann man an Soldaten denken, die gemeinsam, aus Platzmangel wohl, ihr Nachtlager teilen mussten.
Die Weisen aus dem Morgenland oder auch die Heiligen Drei Könige sind das wohl nicht gewohnt, aber hier tun sie es. Und sie tun es noch in einer anderen Hinsicht: Sie schlafen nicht nur gemeinsam, sie träumen sogar dasselbe.
Das ist ganz unüblich. Eigentlich kann man Träume nicht teilen. Jeder hat nur seinen ureigenen Traum.
Von dem alten griechischen Philosophen Heraklit ist ein Spruch überliefert:
„Im Wachen haben wir Eine und gemeinsame Welt. Die Träumenden [bzw. Schlafenden] aber wenden sich jeder dem Eigenen zu.“
Deshalb sollen wir ja aufwachen, aus unserer eigenen, kleinen, begrenzten, beschränkten Welt zur gemeinsamen Welt, die wir mit den anderen teilen. Wir brauchen offenbar auch unsere eigene Welt, den Abstand, das Alleinsein. Aber eben auch das Aufwachen zur gemeinsamen Welt.
Das heißt ja: zur Welt kommen: denn die Welt ist das, was uns allen gemeinsam ist, was niemand für sich alleine haben kann.
Neben Geschichten, in denen das Schlafen deshalb kritisch, ja negativ beurteilt wird, gibt es immerhin auch solche, die positiv geschildert werden, weil Menschen gerade im Schlaf zu neuen Einsichten kommen, etwa indem sie einem Engel begegnen, träumen usw.
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Dazu gehören nun auch die Heiligen Drei Könige. Sie liegen unter einer Decke, schlafen, und träumen dasselbe, begegnen gemeinsam einem Engel.
Und das, obwohl, worauf die Informationstafel hinweist, einer der drei Könige beide Augen offen hat (also wach ist), einer eines und der dritte keines (also noch schlafe). Sie behalten ihre Individualität noch unter der Decke, noch im Schlaf, noch im gemeinsamen Traum.
Schön ist deshalb auch, wie der Engel mit seinem Finger die Hand des einen berührt, die als einzige über der Decke liegt. Obwohl also alle unter einer Decke stecken, sind sie doch unterschieden und werden einzeln >berührt<.
Und dass es wohl mindestens drei sind, hängt mit dem zusammen, was sie erkennen und was sie verkörpern:
Es ist ja ganz ungewöhnlich, dass drei Könige zusammen leben und schlafen und träumen.
Schon das zeigt, dass sie der Gegentypus zu Augustus oder Herodes sind, im Geiste des Christkindes, des neuen Königs. Eine Art Demokratie unter den Herrschern also. Sie lassen sich gegenseitig gelten, bestehen nicht darauf, der einzige zu sein. Sie akzeptieren den Plural.
Hannah Arendt hat einmal gemeint, dass es die Politik damit zu tun hat, dass es den Menschen also solchen gar nicht gibt, sondern nur die „Pluralität der Menschen“. (H. Arendt, Was ist Politik? (1950), S. 11.)
Und dass möglicherweise der Hass aufeinander auch damit zu tun hat, dass unser Bild geprägt ist von dem einen Gott, der eigentlich nur den einen Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hatte.
Da sind die anderen eigentlich überflüssig im Sinne von sinnlos. Kein Wunder, dass wir einander zu Rivalen und Konkurrenten werden, die sich gegenseitig das Recht, da zu sein, streitig machen.
Kürzlich sah ich neugeborene Drillinge. Zuerst lagen sie je für sich in einem Inkubator, dann aber, als sie reifer waren, sah ich sie eines Tages in einem Bett, unter einer Decke liegen, und alle blickten, wie die Heiligen Drei Könige zur selben Seite, schlafend. Fürwahr, auch sie König:innen.
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Denn das gehört zur Weihnachtsbotschaft: jeder soll Platz finden unter der Decke Gottes, auf der Welt. Der neugeborene König der Juden ist einer, der die Pluralität will, der Platz will für jeden Menschen, der jedem Menschen sein Recht gibt. Das spiegelt sich im christlichen Gottesbegriff wieder. Wüsste man es nicht anders, könnte man ja auch meinen, hier auf dem Kapitell in Autun, würde der dreieinige Gott dargestellt.
Gott ist nicht einfach der Eine, sondern immer schon eine Mehrheit – wie bei den drei Männern, die zu Abram und Sara kommen (in 1. Mose 18) – sind es vielleicht auch deshalb Heilige Drei Könige? Denn nach der biblischen Geschichte waren es unbestimmt viele Weise aus dem Morgenland, Astronomen bzw. Astrologen.
Der Eine Gott ist im Christentum der Vater, der Sohn und der Geist, und d.h. der Geist der Mehrzahl, der es sich gönnt, mehrere zu sein und mehrere zu haben, die vielen Menschen, nicht nur den Einen Adam oder die Eine Eva.
Das lässt uns erkennen, dass wir, jede/r von uns, gewollt ist.
Der dreieinige Gott schenkt uns das Bild der Dreieinigen Könige unter der einen Decke, damit wir die Decke erkennen, die uns gemeinsam zudeckt.
Rosenheim, zum 6. Januar 2022 Klaus Wagner-Labitzke