Hut, Schirm, Dach – Sei behütet, sei beschirmt, sei bedacht
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Vor über 2 Jahren bekam ich einen Auftrag. Es war während der 1. Corona-Welle 2020, da besuchte ich einen Kollegen in einer Klinik, der schwer erkrankt war. Plötzlich sagte er, er gebe mir drei Dinge mit, wie schon vielen anderen Menschen auch: Hut, Schirm, Dach. Und als ich ihn fragte, was das bedeute, antwortete er: Sei behütet, sei beschirmt, sei bedacht.
Seitdem gebe ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit diesen dreifachen Segen weiter. Seine Bedeutung aber reichert sich für mich immer mehr an.
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Zunächst fiel mir das bekannte Kinderlied ein:
Hänschen klein ging allein / in die weite Welt hinein. / Stock und Hut steh’n ihm gut / ist ganz wohlgemut.
Übrigens ist das Lied, wie ich es gelernt haben, um drei Strophen verkürzt und so ins Gegenteil verkehrt. In der ursprünglichen Fassung von Franz Wiedemann (1821- 1882) waren es drei Strophen und das kleine Hänschen durfte durchaus gehen, mit dem Segen der Mutter, und kam erst nach 7 Jahren zurück. Aber das steht auf einem anderen Blatt.
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Mir fiel auch ein, was mich erst meine Frau lehrte: die kleine Strophe, die man beim Gehen singen kann, indem man ein paar Schritte vor und zurück und seitwärts macht: Ein Stock, ein Hut, ein Regenschirm. / Vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran. / Hacke, Spitze, hoch das Bein. / Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm.
Aber eben knapp daneben: in dem dreifachen Segen kommt kein Stock vor, vielmehr ein Dach. Ein Stock oder Stab kann vieles bedeuten. Er erinnert an Wanderburschen. Aber auch an den Hirten, an den möglichst guten, der die Schafe mit seinem Stock gegen die Wölfe verteidigt – wie in meinem ersten Religionsbuch in der Grundschule. Oder an den Priester oder Pfarrer oder Bischof mit seinem Stab. Und doch auch an ein Symbol der Königswürde. Und die Kyniker hielten sich, gerade weil sie autark lebten, für Könige. In den Aussendungsreden Jesu ist umstritten, ob die Jünger einen Stecken oder Stab mitnehmen sollen. Wie auch immer – zurück zum Segenspruch. Der Stecken wurde zum Schirm, sei es Regen- oder Sonnenschirm. Und das Dach kommt dazu.
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Inzwischen wurde mir bewusst: ein Hut passt nur auf einen Kopf. Jede:r trägt seinen Hut alleine. Jede:r braucht einen eigenen Hut. Unter einen Schirm passen mindestens zwei Köpfe und Personen. Da ist ein wenig mehr Platz, jedenfalls bei einem Schirm, der an einem Stock befestigt ist – im Unterschied zu den kleinen Hut-Schirmen, die man auf den Kopf aufsetzen kann. Und so erweitert sich das zum Dach. Denn unter ein Dach passen viele Leute. Je größer es ist, um so mehr. Und es gibt Dächer, unter die der Idee nach alle passen, etwa die der gotischen Kathedralen. Und es gibt ein Dach, wo das auch der Fall ist, das Dach des Himmels.
Doch sei bedacht ist mehrdeutig. Da steckt nicht nur das Dach drin, sondern auch das Denken, und dies auf doppelte oder gar dreifache Weise: sei bedacht kann meinen: denke nach, sei nachdenklich. Etwas problematischer vielleicht schon: sei bedächtig, nicht zu schnell. Aber es könnte auch gemeint sein, nicht nur, dass man selber denkt, sondern dass jemand anderes an mich denkt: denke daran, dass jemand an dich denkt, jemand anderes, ein Mensch, oder Gott selbst.
Und denke daran, dass du also deinen eigenen Kopf in Ehren hältst (Hut), dass du darüber hinaus dich mit anderen zusammen unter einen Schirm stellst, ihn beschirmst und dich selbst damit. Und sei die bewusst, dass du mit allen anderen unter dem einen Dach stehst und gehst: sei behütet, bei beschirmt, sei bedacht.
Rosenheim, im Advent 2022 Klaus Wagner-Labitzke