Evangelisch-Lutherischer Dekanatsbezirk Rosenheim

Totensonntag - Ewigkeitssonntag

Totensonntag / Ewigkeitssonntag – Mt 25,1-13
Rosenheim, 20. Nov. 2022

1
Leben ist dauerndes Altern, Reifwerden zu Ewigkeit – mit dem irdischen Ziel des Sterbens im Glauben schrieb der Theologie Eilert Herms. Eine Gelegenheit dazu ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr, das bekanntlich ein paar Wochen vor dem Kalenderjahr endet und mit dem Advent schon Wochen vor Silvester und Neujahr beginnt.
Es geht dem Sterben entgegen, da hilft alles nichts. Alles hat seine Zeit, Geborenwerden und Sterben, Lachen und Weinen, Klagen und Tanzen usw., (Koh 3,1ff) Auch wir haben unsere begrenzte Zeit, wir sind vergänglich. Und haben dennoch – weiß Gott inzwischen, was Er uns da zumutet? – die Idee der Ewigkeit im Herzen (Koh 3,11). In diesem Zwiespalt leben – und sterben wir.
Im Glauben sterben hieße dann vielleicht: hoffen können, dass der Tod die Ewigkeit, in der wir immer schon auch leben, offenbar macht.

Eine witzig-ironische Formel lautet: ich bin reif für die Klapsmühle. Mag sein. Aber bin ich reif für die Ewigkeit? Was soll das denn sein, Reif-werden?

Wolf Biermann schrieb einmal ein Lied für seine erste Frau Christine, mit dem Refrain:
So ist meine Tine:
am Morgen noch Traube,
am Mittag Rosine,
am Abend schon Wein.

Soll wohl heißen: sie schmeckt ihm (damals jedenfalls), in jedem Fall, zu jeder Tageszeit, zu jeder Jahreszeit, in jedem Alter. Sie wird ihm immer schmackhafter – wenn es erlaubt ist, so etwas zu sagen.

In der Kirche ist es üblich, Gott in Jesus Christus bzw. seinen Leib und sein Blut zu kosten, zu schmecken. Warum sollen nicht umgekehrt wir Gott schmecken? Sind wir nicht dazu da?
Und ist der Totensonntag als Ewigkeitssonntag nicht dazu da, uns das bewusst zu machen?

2
Ein altgewordener evangelischer Pfarrer erzählte mir einmal vom Tod seiner Frau. Sie wünschte sich, im Sarg ihr Hochzeitskleid zu tragen. Sie wollte Jesus Christus als Braut entgegengehen, wohl im Anschluss an Apk 21,2: Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und an die Jungfrauen im Gleichnis Mt 25,1-13. (Sind wir im Angesicht Gottes bzw. Jesu Christi alle Jungfrauen/Jungmänner?)
Ich fragte ihn, ob er, der Pfarrer, der Ehemann, der Witwer, nicht eifersüchtig auf Jesus Christus sei? Nein, war er nicht…

Was bedeutet das jenseits der Kleiderfrage? Mit welcher Haltung gehen wie in den Tod bzw. in die Ewigkeit?

Im Gleichnis Jesu heißt es: eine Lampe genügt nicht, man braucht auch Öl, das darin brennt.
Ich übersetze mir das so: die Lampe sind wir jeweils selbst. Ich bin die Lampe, aber die richtig brennen. Sie mag verbrennen, aber sie brennt für jemanden, sie leuchtet. Welches Öl brauche ich, damit ich richtig brenne?
3
Wie gehen wir normalerweise auf den Tod zu? Wenn es mehr oder weniger heldenhaft zugeht, dann vielleicht so wie im Stierkampf.

Wie ich nun auf den Stierkampf komme? Ich habe noch nie einen live erlebt. Der Philosoph Paul Ludwig Landsberg (1901 – 1944) aber schon.
Das war ein jüdischer Herkunft und katholischer Christ. Doch als Jude wurde er von den Nazis verfolgt. Deshalb floh er vor 1933 nach Spanien. Als ultima ratio nahm er eine Zyankali-Kapsel mit. Er wollte sich das Leben nehmen, wenn die Nazis ihn fassen sollten.

In Spanien nun sah er offenbar einen Stierkampf – und überlegte, was da eigentlich in diesem für uns befremdlichen Ritual eigentlich gespielt wird. Und er hat es folgendermaßen erklärt, was mir die Augen öffnete: es geht eigentlich darum, dass wir vorgespielt bekommen, wie wir dem Tod begegnen sollen. Und die entscheidende Pointe ist:
Wir sind der Stier, den der Tod in Gestalt des Torreros, des Stierkämpfers besiegt, früher oder später.
Wohlgemerkt: wir sind nicht der siegreiche, mutige und geübte Stierkämpfer, der stolz vom Platz als Sieger schreiten soll, sondern wir sind der besiegte, tote, vom Platz geschleifte Stier.

Im Einzelnen beschreibt Landsberg das so :

1. Wie der Stier plötzlich freudig und voller Kraft in die Arena springt – so komme ich Menschenkind neugierig in die Welt, um zu spielen, ohne zu wissen, was mir blüht.
2. Die ersten Gegner wecken die eigene Kraft, auch wenn der Stier allmählich merkt, dass der Gegner nicht fair spielt. – Als Jugendlicher messe ich meine Kräfte, verschmerze erste Enttäuschungen.
3. Der wahre Ernst des Lebens beginnt, wenn die picadores (helfende Zureiter) mit ihren Lanzen den Stier bis auf’s Blut reizen. Seine wachsende Wut und Erbitterung reagiert er am Pferd ab. – Als erwachsener Mensch kämpfe ich und erfahre allmählich, dass der eigentliche Gegner, das Böse, nicht zu besiegen ist.
4. Das Zwischenspiel mit banderillas (Fahnenträger) verherrlicht und verspottet zugleich das heldenhafte Tier, die Kräfte lassen nach. – Als reifer Mensch habe ich noch Erfolg und ahne doch schon, dass ich niemals Sieger bleiben kann.
5. Mit dem Matador betritt endlich der Tod selbst die Arena. Den Degen verbirgt er hinter dem roten Tuch, mit dem er den Stier in die Knie zwingt. Die Tragödie wird offenbar.
So enden wir alle hienieden mit dem Tode. Jeder Kamp gegen ihn ist im voraus verloren. Der Glanz eines solchen Kampfes kann nie in seinem Ausgang liegen, sondern nur in der Würde der Handlung selbst. Sprich: in der Haltung, in der wir wie der Stier, den Todesstoß empfangen.

Übrigens hat Landsberg sich dann doch nicht selbst das Leben genommen, obwohl er, wie befürchtet, von den Nazis gefangen genommen wurde. Er starb 1944, mit 43 Jahren, im KZ Oranienburg.
Vielleicht, weil ihm der Blick auf ein anderes Schauspiel ihm einen anderen Umgang mit Leiden und Sterben gezeigt hatte. Gegen den stoisch-heroischen Gang in den Tod wie auch gegen den Suizid sprechen für ihn keine moralischen Argumente, letztlich überhaupt keine Verbote, weder moralische noch religiöse, sondern allein das Vorbild Jesu Christi und der Märtyrer: Leben heißt ein Kreuz tragen. Aber dieses Kreuz hat einen heiligen Sinn schreibt er 1942 . Wer die Liebe Gottes gespürt hat, der kann sogar die Seligkeit im Leiden erleben.
Leid und Tod werden ihm Durchgang zu einem höheren Leben.

Wie sie [Jesus Christus und die Märtyrer] sollst du dein Kreuz tragen. Dein Leiden wird darum nicht aufhören, doch das Kreuz des Leidens wird dir sanft werden aus einer unbekannten Kraft, die aus dem Zentrum der göttlichen Liebe fließt.

4
Das ist also die Frage: was – oder besser – wen habe ich eigentlich vor mir, wenn ich den Tod vor mir habe?
Immerhin: im Stierkampf hat es der Stier mit einem anderen lebendigen, menschlichen Wesen zu tun – das sogar mal Gnade vor „Recht“ gewähren kann.
Mit dem Nichts aber kann man nicht verhandeln, schon gar nicht spielen.
Für das Nichts kann man sich auch schlecht schön einkleiden, schon gar nicht geschmückt wie eine Braut für ihren Mann.

Meine Lampe, die ich bin, hat nur dann Öl, das angesichts des Todes brennt, wenn ich weiß, dass ich von dem, der den Tod schickt, gesehen, wahrgenommen, gehört werde.

Ich muss dazu wohl gleichsam durch den Tod hindurchschauen auf Jemand, auf eine göttliche Person, die für mich das Angesicht Jesu Christi trägt. Nur eine Person kann mich letztlich entzünden, zum Brennen und Leuchten bringen. Dann erhelle ich so das Dunkel des Todes, in das ich gehe – wie all die Menschen, die mir vorausgegangen sind.

Rosenheim, November 2022 Klaus Wagner-Labitzke

publ. am 18. November 2022